Es wird nicht gelächelt – Die Fotoschau „Walker Evans. Ein Lebenswerk“

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Die Berliner Festspiele zeigen im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie eine groß angelegte Retrospektive im Martin-Gropius-Bau.

Die Wirklichkeit abbilden, in ihrer ganzen Härte, und dabei „kein Ding verändern“, das war sein Credo. Walker Evans (1903-1975), amerikanische Fotografenlegende des 20. Jahrhunderts, wurde mit seinen nüchternen Schwarz-Weiß-Aufnahmen des sozialen Elends in den USA weltberühmt. Noch heute gilt er als Begründer des „dokumentarischen Stils“. Namhafte Künstler wie Diane Arbus und Andy Warhol wurden maßgeblich von ihm beeinflusst. Die Berliner Festspiele zeigen nun, im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie, eine groß angelegte Retrospektive im Martin-Gropius-Bau.

„Walker Evans. Ein Lebenswerk“ versammelt mehr als zweihundert Vintage Prints unterschiedlicher Qualität, die zu großen Teilen aus der Privatsammlung von Clark und Joan Worswick stammen, ebenso aus Beständen des Museum of Modern Art in New York und der Photografischen Sammlung Stiftung Kultur Köln. Unterteilt sind die Arbeiten in verschiedene Themenblöcke, so in frühe Pflanzenaufnahmen, Architektur-, Industrie- und Reisefotografie, Porträts von Künstlern, Intellektuellen und U-Bahn Passanten in New York.

Der bekannteste und eindringlichste Teil ist die Porträt- und Reportageserie über die Große Depression in den USA. Die Weltwirtschaftskrise und ihre verheerenden Folgen für die Landbevölkerung ist Walker Evans großes Thema, es führt ihn ab 1930 mehrmals in den Süden der USA, nach Alabama, Georgia, Louisiana, Mississippi. Hier fotografiert er im Auftrag verschiedener Magazine und ab 1937 für die Farm Security Administration (FSA), einer Hilfsorganisation für Landarbeiter, die im Zuge der Sozialreformen der „New Deal“-Politik von Präsident Roosevelt gegründet wurde. Evans ist vor Ort, um das Leben der verarmten Farmer und Pächter und der arbeitslosen Minenarbeiter zu dokumentieren.

Die Armut, die Evans zeigt, ist monströs und hässlich, die abgebildeten Männer, Frauen und Kinder sitzen in Lumpen vor ihren windschiefen Holzhütten, sie sind schmutzig, verwahrlost, vorzeitig alt. Niemand spielt und lacht, manche schauen ernst, aber offen in die Kamera, andere blicken entmutigt zu Boden, im Wissen um ihren jämmerlichen Zustand. Viel gelobt wurde Evans für den „unverstellten Blick“ auf die Not. Sicher sind diese Fotografien historisch wertvoll, aus heutiger Sicht fällt es allerdings schwer, der Abbildung der „puren Realität“ zu folgen, denn davon kann keine Rede sein. Evans hat durchaus eingegriffen, hat die Familien zu starren Tableaus des sozialen Elends arrangiert und sie in eine geometrische Strenge zu den Abmessungen ihrer Häuser und Möbel gesetzt. Daran ist nichts „zufällig“.

Für seine „Subway Portraits“ in der New Yorker U-Bahn (1937-41) nahm Walker Evans die Menschen heimlich auf (die Kamera hatte er unter dem Mantel und das Objektiv zwischen zwei Knöpfen versteckt.). Er wollte damit gegen die künstliche Studiofotografie vorgehen. Stark sind die Bilder unbelebter Dinge: viktorianische Hausfassaden, Kirchen und Kräne. Evans, der sich politisch nie hat vereinnahmen lassen, blieb auch zu den Menschen, die er ablichtete, auf Distanz. Das zeigen sein Künstlerporträts, mit der unsichtbaren Wand zwischen Modell und Betrachter. Auch hier gilt: Es wird nicht gelächelt, niemals.

© RCR Jana Sittnick

„Walker Evans. Ein Lebenswerk“, Martin-Gropius-Bau, bis 9. November

 

Fotos: Collection of Clark and Joan Worswick © Walker Evans Archive, The Metropolitan Museum of Art

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