„Der deutsche Mann holt auf“ – Interview mit Jennifer Brachmann

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Die Architektin Jennifer Brachmann und der Soziologe Olaf Kranz gründeten im Herbst 2012 das Label BRACHMANN. Die Kleidungsstücke aus hochwertigen Materialien kleiden den Mann für jeden Anlass.

Die Architektin Jennifer Brachmann und der Soziologe Olaf Kranz gründeten im Herbst 2012 das Label BRACHMANN. Die Kleidungsstücke aus hochwertigen Materialien kleiden den Mann für jeden Anlass.

Ob sich die Designerin vorstellen könnte, Mode für Frauen zu entwerfen, und wie sich Architektur und Modedesign kombinieren lassen, könnt ihr hier in unserem Interview lesen:

Wofür steht das Label BRACHMANN?
Das Label BRACHMANN steht für post-klassische Männermode. Das heißt, wir modernisieren die Klassiker der Männermode. Dabei geht es uns um die Entwicklung neuer Schnitte und Formen auf der Basis eben jener Klassiker. Unser Anspruch ist, dass wir in der Auseinandersetzung mit der Tradition die klassische Formensprache ein Stück weiter bringen. Wir wollen in den Trends, die sich ohnehin vollziehen, eigene Akzente setzen. Neben den Klassikern selbst sind Gestaltungsprinzipien aus der Architektur für uns sehr wichtig. Wir gewinnen unsere neuen Formen und Schnitte, indem wir auf die Klassiker der Männergarderobe modulare und funktionale Gestaltungsprinzipien aus der Architektur anwenden.

Warum machst du gerade Mode für Männer? Sollten Männer allgemein modisch mutiger werden?
Ja, genau. Zum einen ändert sich gerade das Männerbild, und die Männer entdecken endlich auch die Mode stärker für sich und die Möglichkeiten, die eigene Identität und Individualität in der Kleidung auszudrücken. Weil sich in der klassischen Männermode bisher wenig bewegt hat, gibt es gerade hier für das Modedesign sehr viele Gestaltungsspielräume. Zum anderen bin ich stark durch die Architektur geprägt. Architektur und Mode stehen ja in einem starken Kontrast zueinander, der mich sehr reizt. Auf der einen Seite stehen die bleibenden Formen der Architektur, auf der anderen die flüchtigen Formen der Mode. An den Klassikern der Männermode reizt mich nun die Möglichkeit, gleichsam bleibende Mode zu entwerfen, also ständig neue Formen zu entwickeln, die eine zeitlose Ästhetik und daher wesentlich länger als eine Saison Bestand haben.

Designst du für einen speziellen Typ Mann?
Ich entwerfe für Männer mit einer bestimmten Haltung und mit der Fähigkeit zu einem emanzipierten Geschmacksurteil. Ich denke an Männer, die mit offenen Augen durch die Welt gehen, dem Neuen gegenüber aufgeschlossen sind, sich für Gestaltung interessieren, der Welt auf subtile Weise ihren Stempel aufdrücken wollen, die zivilisiert sind.

Gibt es beim Mann ein No-Go?
Das ist meistens typabhängig. Was bei dem einen Mann ein No-Go ist, ist beim anderen stimmig, und anders herum. Natürlich gibt es auch für mich einige No-Gos, da dies aber meine persönlichen Geschmacksurteile sind, behalte ich diese lieber für mich.

Darf Mann knallige Farben, auffällige Muster und Schmuck tragen?
Schmuck auf jeden Fall. Knallige Farben und auffällige Muster sind jetzt nicht unbedingt die Vorschläge, die ich mit meinen Kollektionen den Männern unterbreite. Bei mir geht es eher um gedeckte, klassische Farben, um die post-klassischen Neuerungen in Form und Schnitt subtil zur Geltung kommen zu lassen. Aber prinzipiell können auch knallige Farben und auffällige Muster stimmig in einem Männer-Look kombiniert werden, ganz klar. Das ist wiederum typabhängig, stilabhängig. Man sollte dann darauf achten, Kleidung mit einfachen Schnitten zu tragen, wie aktuell bei Julian Zigerli oder Franziska Michael.

Beurteilst du als Modedesignerin automatisch den Style der Männer, wenn du privat unterwegs bist?
Ja, das passiert unwillkürlich. Auch wenn wir im TV Nachrichten sehen, im Kino Filme gucken oder uns Serien ansehen, ertappen wir uns immer dabei, wie wir die Kleidung der Männer, aber auch Frauen kommentieren: ‚Das ist aber ein schön geschnittenes Kleid‘, ‚Die Farbe geht ja gar nicht‘; ‚Guck mal, das Sakko sitzt aber schlecht an der Schulter‘, usw.

Wer kleidet sich deiner Meinung nach besser: Deutsche Frauen oder Männer?
Wenn ich es einmal so pauschal sagen darf: Der deutsche Mann holt auf.

Was sagst du zur deutschen Mode heutzutage?
Sie wird unterschätzt. Außer Haute Couture gibt es von allem. Es gibt große Modemacher wie Karl Lagerfeld, Jil Sander, Wolfgang Joop. Es gibt große Marken wie Hugo Boss. Es gibt eine große Menge an mittelständischen Firmen, die gar nicht als deutsche Mode wahrgenommen werden. Und es gibt inzwischen eine große und wachsende Schar an bestens ausgebildeten, sehr talentierten und auch erfolgreichen Newcomern wie zum Beispiel Achtland, Augustin Teboul, Perret Schaad, Sissy Goetze und viele mehr.

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Hast du ein Vorbild?
Ja, mehrere. In der Architektur sind es Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius, die sehr früh, sehr radikal und sehr konsequent einen Designstil mit den dazugehörigen Gestaltungsprinzipien entwickelt und umgesetzt haben. In der Mode sind es Raf Simon und Chris van Assche, die ich wegen ihrer Klarheit sehr schätze.

Könntest du dir auch vorstellen Mode für Frauen zu entwerfen?
Absolut. Dass ich mit Männermode anfange, ist zum Teil biographisch begründet. In meiner Diplomkollektion habe ich mich mit dem Phänomen der Klassiker in der Mode beschäftigt, also damit, dass in der schnelllebigen Mode die Trends kommen und gehen, während die Klassiker bleiben, weil ich mich als gelernte Architektin eben auch schon immer sehr stark für zeitlose Formen interessiert habe. Ich habe dann das Label aus diesem Prinzip heraus entwickelt, die zeitlosen Klassiker der Männergarderobe durch die Anwendung von Gestaltungsprinzipien aus der Architektur zu modernisieren. Aber die Ästhetik der Klassiker der Männermode ist universal. Und es gibt viele Frauen, die das cleane, funktionale, subtile der Klassiker sehr mögen, siehe Jil Sander. Im Atelier habe ich auch schon viele Frauen als Kundinnen, für die ich die Designs aus der Männerkollektion adaptiere. Eine eigene Frauenlinie ist aber noch Zukunftsmusik. Vorher müssen wir erst die Männerlinie richtig zum Laufen kriegen.

Du hast Architektur studiert. Wie gut lässt sich das mit Modedesign verbinden?
Sehr gut, denke ich. Die Architekturausbildung hat mich das konsequente Arbeiten entlang von Designprinzipien gelehrt. Außerdem lernt man das Denken in Räumen, Flächen und Ebenen, was in der Mode sehr hilft, weil es hier um ein zweidimensionales Entwerfen für den dreidimensionalen menschlichen Körper geht. Ich versuche, das aus meiner Sicht Beste aus Mode und Architektur miteinander zu verbinden. An der Mode reizt mich der kurze und schnelle Weg von der Idee zum fertigen Prototyp. Ich habe am Abend eine Idee, probiere sie am Morgen im Atelier aus, und wenn alles gut läuft, sehe ich die Idee keine 24h später an der Puppe bereits realisiert und kann beurteilen, ob die Idee belastbar ist.

Warum hast du Halle als deinen Standort gewählt? Gibt es in den Großstädten zu viel Konkurrenz?
Das hat wieder biographische Gründe. Ich habe an der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein bis 2010 Mode studiert und mich dort dann zunächst mit einem Atelier als Modedesignerin selbständig gemacht. Zusammen mit meinem Partner, Olaf, haben wir dann parallel aus dem Konzept meiner Diplomarbeit das Label BRACHMANN Post-Classical Menswear entwickelt, das wir im Herbst 2012 gegründet haben. Wir hatten dann mit dem Label sehr schnell Erfolg. Wir haben schon 2013 den Titel „Kultur- und Kreativpilot Deutschland“ erhalten und im Januar 2014 hatten wir dann unsere Debüt-Show auf der Mercedes-Benz Fashion Week in Berlin. Seit dem 01. Juni diesen Jahres sind wir übrigens nach Berlin gezogen, weil hier die Bedingungen für die weitere Entwicklung unseres Labels BRACHMANN unserem Eindruck nach besser sind. Prinzipiell hat jeder Standort Vor- und Nachteile. Gerade in Deutschland sieht man, dass man auch abseits der großen Städte mit Mode erfolgreich sein kann

Wie würdest du dich in drei Worten beschreiben?
Pragmatisch, sensibel, beharrlich.

Entwirfst du manchmal auch Stücke für dich selbst?
Ja, z. B. trage ich selbst entworfene Mäntel in einer Kimono-Optik sommers wie winters. Leider lässt mir momentan unser Lola-Rennt-Business namens Mode immer weniger Zeit. Hoffentlich können wir bald eine Frauenlinie rausbringen, damit ich endlich wieder mehr meiner Designs selbst tragen kann.

Mit welchen Materialien arbeitest du am liebsten?
Definitiv mit Naturfasern, am liebsten mit sehr hochwertigen Stoffen, die sich schon sehr edel angreifen und die sich angenehm auf der Haut tragen. Noch lieber mit biologisch und fair gesourcten Stoffen.

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Was ist das Thema der neuen Kollektion und wovon hast du dich inspirieren lassen?
Das Thema ist eigentlich immer die Modernisierung der Herrenmodeklassiker in Schnitt und Form auf der Basis der Klassiker. Die größte Inspirationsquelle sind daher immer die Klassiker selbst, die ich mithilfe von Gestaltungsprinzipien aus der Architektur auseinandernehme und neu zusammensetze. Oder ich designe neue Details wie zum Beispiel neue Kragenformen beim Hemd. Die Kollektionen erhalten dabei durch die Wahl der einzelnen Klassiker einen ganz bestimmten Ausdruck. Aber daneben bekommen wir natürlich auch immer Inspiration durch Trends, Filme oder bestimmte Ereignisse. Im Moment sind wir immer noch sehr beeindruckt von den neuen Bauhaus-Meisterhäusern in Dessau, zu deren Eröffnung wir im Mai eingeladen waren. Bmf Architects und Olaf Nicolai haben die alten Meisterhäuser von Walter Gropius und Moholy-Nagy unter dem Motto „Präzision und Unschärfe“ neu interpretiert und dabei für uns absolut stimmig die Bauhaus-Prinzipien weiterentwickelt und sehr eindrucksvolle Räume erschaffen.

Wie wird das Thema umgesetzt?
Meine Inspirationsquelle für die Sommerkollektion sind sowohl die sportlichen Klassiker Norfolk-Jacke, Riding Breeches und Trenchcoat als auch die festlichen Klassiker Cutaway, Weste und Hemd. Bei der Neuzusammensetzung der klassischen Schnitte achte ich auf Geradlinigkeit bei der Umsetzung, damit die Neuheiten in Schnitt und Form für sich sprechen können. Die architektonische Anmutung der Kollektion betone ich durch die Herausarbeitung geometrischer Formen und durch sich überlagernde Ebenen. Die Betonung der Konstruktion erziele ich durch Nahtführung, subtile Kontraste gedeckter Farben und Trennungsnähte. Die Stoffe aus hochwertigen Naturfasern sind sommerlich leicht, wie z.B. leichte Baumwolle bei Trenchcoats oder Leinen für Anzüge. Die Looks dieser Kollektion reichen von lässig-sportlichen Avantgardeoutfits bis hin zu progressiver, minimalistisch-eleganter Abendmode.

Was ist dein persönliches Highlight der neuen Kollektion?
Ich habe in dieser Kollektion einen besonderen Akzent auf Hosen gelegt, auf die ich ein paar Designdetails z. B. von der Norfolkjacke übertragen habe, so dass z. B. die Weite einer Riding-Breeches aus einer seitlichen Norfolkfalte kommt.

Wie war/ist die Arbeit an der neuen Linie?
Ganz ehrlich? Das Entwerfen einer neuen Kollektion ist harte und disziplinierte Arbeit. Ein wenig Ausspannen konnten wir beim Besuch des Baltic Fashion Awards auf Usedom, wo wir den Moderator ausgestattet haben, und bei der Eröffnung der rekonstruierten Bauhaus Meisterhäuser in Dessau, wo wir uns angesehen haben, wie in der Architektur die Formensprache der modernen Klassiker modernisiert wird. Wir haben sehr schöne und emotionale Konzerte von The Notwist, The National und einer unaussprechlichen kanadischen Post-Rock Band erleben dürfen. Wir haben uns damit überrascht, dass uns die US TV-Serie ‚Game of Thrones‘ sehr gefällt. Und wir haben zwei Models quasi auf der Straße vom Fleck weg casten können, mit denen wir beim Shooting und auch bei der Show zusammenarbeiten. Das sind zwei Tänzer aus der Companie „Ballett Rossa“, Thiago Fayad und Johan Plaitano. Wir freuen uns sehr. Ach ja, und wir haben quasi nebenbei noch den Umzug von Halle nach Berlin bewältigt.

Nach welchen Kriterien wählst du deine Models aus? Was ist dir dabei wichtig?
Neben den eher funktionalen Aspekten wie Größe der Models und Passform etc., geht es uns vor allem um Haltung, Individualität und Präsenz. Die Klamotten müssen die Models und die Models müssen die Klamotten gut aussehen lassen, und das funktioniert nur, wenn sie sich in unserer Kleidung vor Publikum wohl fühlen. Das merkt man erst, wenn man tatsächlich castet. Casting ist immer eine komplexe Gleichung mit vielen Unbekannten, die man gleichzeitig lösen muss. Am Ende bewahrheitet sich meistens die Weisheit: „It takes all sorts to make a world.“ Und während der Show kommt dann doch trotz aller Sorgfalt beim Casten vieles anders.

Das Interview führte Jill-Sillina Mews

Titelbild: © Matthias Ritzmann

Portrait: © Joachim Blobel

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