Van der Graaf Generator on Tour
Die beständigste Legende des Art oder Progressive Rock ist wieder unterwegs. Auch 2013 überraschen Van der Graaf Generator die Fans aufs Neue mit Songs, die selten gespielt werden.
Nach dem letzten Studioalbum „A Grounding in numbers“ und den Skizzen „ALt“ überraschen Van der Graaf Generator ihre Fans mit einem neuen Programm, das um zwei zentrale Langmotive strukturiert ist. „Flight“ ist ursprünglich aus dem Solo-Werk von Peter Hammill, und das sich über eine Vinylseite entfaltende „A Plague Of Lighthouse-Keepers“ vom legendären „Pawn Hearts“ Album. Den Geist der Vergangenheit transportieren die experimentierfreudigen Musiker nun in die Neuzeit.
Van der Graaf Generator am 17.6. 2013 in Berlin, C-Club
© RCR Christian Behring
Van der Graaf Generator, 1967 von drei englischen Studenten an der Manchester University gegründet, brachten zunächst nur die Single „People You Were Going To“ hervor, wurden mehrfach aufgelöst und wiederbelebt, agierten zeitweise unter dem Namen des Sängers und Songschreibers Peter Hammill und erwiesen sich am Ende als die beständigste Legende des Art oder Progressive Rock. Die „Band, die experimentellen Rock mit Jazz-Improvisationen und britischer Exzentrik kreuzte“ („Kultur-Spiegel“), bestand zunächst aus Hammill (voc, g, kb), am 5. November 1948 in London geboren, Nick Pearne (org) und Chris Judge Smith (dr), der den akademischen Band-Namen vorschlug: Der Physiker Robert Jemison Van de Graaff (1901-1967) hatte 1929 einen Generator für elektrostatische Aufladung konstruiert.
1968 ersetzte Hugh Banton (org) Nick Pearne, Keith Jan Ellis spielte Bass, und Guy Evans übernahm die Drums, während Smith zum Saxophon wechselte, bald darauf aber die Gruppe verließ, die sich im Frühjahr 1969 erstmals auflöste. Demo-Aufnahmen in dieser Besetzung wurden 1991 unter Smith‘ Namen mit dem CD-Titel Democrazy veröffentlicht. Im Juli 1969 begann Peter Hammill mit den Aufnahmen für sein erstes Soloalbum, unterstützt von Banton, Ellis und Evans. Aufgrund vertraglicher Bindungen erschien The Aerosol Grey Machine (1969) unter dem Bandnamen Van der Graaf Generator auf Mercury – vorerst in den USA. Dort gab die Band in all ihren verschiedenen Inkarnationen – 1976 in New York – nur ein einziges Mal ein Konzert.
Mit dem zweiten Album The Least We Can Do Is Wave To Each Other (1970), nun mit David Jackson (sax) und Nic Potter (bg) als Ersatz für Keith Ellis, der sich später Juicy Lucy anschloss, hatte sich der Sound konsolidiert: Hammills unheimliche Vocals mit okkulten oder apokalyptischen Inhalten über metallisch zerfaserten Keyboard- oder Orgel-Riffs ohne die formative Kraft einer elektrischen Gitarre. Die Stimme, „die britischste Stimme überhaupt“ (Arne Willander), erinnerte einzelne Kritiker „an eine männliche Nico“, andere verglichen den Sound mit der Kölner Avant-garde-Combo Can. Mit dem Stück Refugees von dieser LP auf dem von ihrem Manager Tony Stratton-Smith neu gegründeten Charisma-Label, jahrelang ein Muss in allen Konzerten, erreichten Van der Graaf Generator auf Platz 47 in den britischen Charts auch ihre größte Annäherung an den Markt.
Für das Folgealbum mit dem Titel H To He Who Am The Only One gestattete Charisma den Art-Rockern sogar eine Promotion-Tournee als Headliner (vor Genesis). Aber der Keim zur Auflösung war schon während der Produktion spürbar. Nach etwa der Hälfte der Aufnahmen verließ Bassist Potter das Studio, Gitarrist Robert Fripp von King Crimson kam als Gastmusiker hinzu. Fripp blieb der Hammill-Truppe auch für die LP Pawn Hearts (1971) erhalten, aber die produzierte Hammill selber nur mit halbem Herzen. Parallel dazu arbeitete er an seinem ersten Soloalbum Fool’s Mate (1971). Auf dem ohnehin recht überschaubaren Markt für progressive Rockmusik machten sich die beiden Werke in jenem Jahr gegenseitig Konkurrenz, was beiden nicht bekam. Für Charisma hatten die enttäuschenden Umsatzzahlen von Pawn Hearts künstlerische Ursachen. Mit der 20-Minuten-Suite A Plague Of Lighthouse Keepers in unterschiedlichen Stimmungen und Tempi, allerdings auch einem fabelhaften Finale, so die Charisma-Repertoiremanager, habe Hammill wohl die Käufer überfordert. Als dann auch noch die nächste Single Theme One, geschrieben vom Beatles-Produzenten George Martin, in den Läden liegenblieb, löste Hammill die Band nach einer anstrengenden Italien-Tournee im August 1972 abermals auf. In Italien hatte es Pawn Hearts immerhin zwölf Wochen lang bis an die Spitze der LP-Chart geschafft.
Zweieinhalb Jahre lang kümmerte sich Peter Joseph Andrew Hammill nach den von der Kritik später hochgelobten Songs von Fool’s Mate (Albert Koch: „dunkelgraue, introspektive Klassiker britischer Songschreiberkunst“) ausschließlich Soloprojekten: Chameleon In The Shadow Of The Night (1973), The Silent Corner And The Empty Stage (1974), In Camera (1974), Nadir’s Big Chance (1975). Erst im Januar 1975 holte der Komponist/Texter/Sänger die alten Kämpen Hugh Banton (org, bg), David Jackson (sax, fl), Guy Evans (dr) in einem Studio in Herefordshire für die Van der Graaf-Produktion Godbluff (1975) sowie deren Nachfolger Still Life und World Record (1976) wieder zusammen. „Als Texter stand Hammill damals im Zenit seines Schaffens“, so Albert Koch im „Musikexpress“: „Die Worte, die die Songs umspannten, waren reinste Lyrik, die existenzphilosophische Fragen aufwarfen (Childlike Faith In Childhood’s End), Unsterblichkeit als potenzielle Antwort darauf gaben (Still Life) sowie Einsamkeit und Verlust thematisierten (My Room [Waiting For Wonderland]).“ Textprobe daraus: „Searching for diamonds in the sulphur mine, leaning on props that are rotten, hoping for anything, looking for a sign that I am not forgotten. Lost in a labyrinth of future mystery, tracing my steps, all mistaken, trusting to everything, praying it can be, that I am not forsaken.“
Hugh Banton gab dieser Lyrik gotisch dröhnende Orgelakkorde, David Jackson beseelte Sax-Fill-ins, Guy Evans virtuose Drum-Rolls bei. Zwei der fünf Songs von Still Life stammten komplett aus der Session für Godbluff, da für diese LP nur vier der hochkomplexen und überlangen Stücke verwendet werden konnten. Aber schon bei der dritten LP dieser Serie, World Record (1976), war die Hochspannung dahin, die Musiker gingen wieder auseinander. Lediglich ein für das Doppelalbum Vital (1978) mitgeschnittener Gig im Londoner Marquee Club brachte sie noch einmal zusammen. In den folgenden knapp drei Jahrzehnten nahm Peter Hammill, der mittlerweile „ein bisschen aussieht wie ein strenger Apotheker“ (Christoph Dallach), als Solokünstler mit kleinen und mittleren Erfolgen rund zwei Dutzend LPs/CDs auf. Zu den Musikern, die ihn zu ihren Idolen und Vorbildern rechneten, gehörten Nick Cave, David Bowie, John Frusciante von den Red Hot Chili Peppers sowie Ex-Sex Pistol John Lydon. Van der Graaf Generator waren Kult – bis 2005 mit Present ein Spätwerk der Stammbesetzung von 1975/76 erschien, aufgenommen in Pyworthy, England, im Sommer 2004. „Mit seinem Pessimismus und seiner Liebe zu Shakespeare hat sich Hammill die Karriere ruiniert, die ohnehin an den Rändern des Geschäfts stattfand“, resümierte Arne Willander im deutschen „Rolling Stone“: „Dieser Aristokrat der Rockmusik kann Balladen schreiben wie niemand sonst, aber sein uferloses Werk, verstreut auf zahllosen Labels, blieb auch wirr und hermetisch … Immerhin sechs Stücke sind entstanden, fünf von oder mit Hammill geschrieben. Sie sind pompös, verspielt, verquer und verblasen – also großartig.“
Am 6. Mai 2005 betraten Hammill, Jackson, Banton und Evans für das Live-Doppelalbum Real Time (2007) die Bühne der Londoner Royal Festival Hall, begannen Punkt 19.43 Uhr Greenwich Mean Time zu spielen und hörten Schlag 22.05 Uhr wieder auf. Dies sei die Entsprechung der exakten geographischen Lage der Halle in Echtzeit, verriet der CD-Begleittext. Dies könne man als liebenswürdige Spinnerei von vier in Ehren ergrauten bzw. kahl gewordenen Hippies abhaken, solange der Rest stimme, empfahl Albert Koch („ME“): „Und das tut er. Die Band dreht nochmal ihre abenteuerlichen Runden auf der musikalischen Achterbahn, bewegt sich zwischen sanftem Lyrizismus und freiformalen Ausbrüchen und kriegt immer wieder die Kurve hin zum Song. Was David Jackson auf den Blasinstrumenten leistet, grenzt an Zauberei … Zum Abschluss dann das furiose Wondering. „Wondering if it’s all been true“, heißt es da. Das tun wir auch ein bisschen.“
In den weiteren Jahren veröffentlichen VAN DER GRAAF GENERATOR kontinuierlich Alben, im März 2011 erscheint „A Grounding in Numbers“ und 2012 „ALt“, eine Sammlung von Collagen und Experimenten. 2013 überraschen sie die Fans aufs Neue mit Songs, die selten gespielt werden.
16. Juni Prag, Archa Theatre
17. Juni Berlin, Columbia Club
19. Juni Hamburg, Fabrik
20. Juni Darmstadt, Centralstation
21. Juni Erfurt, Gewerkschaftshaus
22. Juni Dresden, Tante Ju
24. Juni Amsterdam, Melkweg
26. Juni Bilston, Robin
27. Juni Glasgow, ABC
28. Juni Manchester, RNCM
30. Juni London, Barbican
2. Juli Udine Jazz 2013
3. Juli Milano, Teatro di Villa
5. Juli Pistoia Blues Festival