„Das Böse – Ganz normale Männer“ – Ein Setbesuch

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Ein Besuch am Filmset des Oskar Regisseurs Stefan Ruzowitzky in Hanau bei Frankfurt am Main.

Ein Besuch am Filmset  des Oskar Regisseurs Stefan Ruzowitzky in Hanau bei Frankfurt am Main.

Wie ticken Menschen? Warum machen wir etwas? Wie ist grausames Massenmorden möglich? Wie können normale Menschen zu Monstern werden? Diese Fragen stellt sich der 2008 Oscar prämierte Regisseur Stefan Ruzowitzky, geboren in Wien, aufgewachsen in Deutschland und Österreich, in seinem neuen Dokumentarfilm „Das Böse – Ganz normale Männer“.

Auslöser ist die Geschichte des Bataillons 101. Der Kommandant eines deutschen Reserve Polizeibataillons teilt seinen Männern 1942 in Osteuropa die schlechte Nachricht mit, daß man sie für eine „höchst unangenehme“ Aufgabe ausgewählt hat: Exekutionen. Es stehe ihnen frei abzulehnen – doch nur 12 von 500 Männern lehnen diese „Aufgabe“ ab. Die anderen erschießen in den folgenden Monaten über 38.000 wehrlose jüdische Zivilisten: Frauen, Kinder, Männer und alte Menschen. Das Massaker von Babi Jar ist ein entsetzlicher Höhepunkt. Die Zeit ist geprägt von Kameradschaftsdenken, „Pflichtgefühl“, Gruppendruck und gezielter Propagandabeeinflussung. Es findet eine scheinbare Legitimierung durch die öffentliche Ausführung der Exekutionen statt. Es sind häufig Zuschauer anwesend, alles geschieht am helllichten Tag vor idyllischer Landschaft und vermittelt so eine absurde scheinbare Rechtschaffenheit. Doch reicht das aus, um aus ganz normalen Menschen Massenmörder zu machen?

1945 wurden bei den Nürnberger Prozessen psychologische Tests mit den Angeklagten, KZ-Wächtern, SS Massenmördern und Naziführern gemacht, die aussagten, daß es sich um ganz normale Menschen handelte.

Psychologisch gesehen ganz „normale Männer“, also keine psychisch Erkrankten oder typisch prädestinierten Profile. Steckt in jedem von uns das Böse und kann es jederzeit aktiviert werden? Müssen bestimmte Rahmenbedingungen dazu führen? Welche Umstände sind dies genau und wie kann man sie früh erkennen und verhindern? Es ist eine pragmatische, zeitlose Herangehensweise an das schwere Thema.

Der neue Aspekt bei dieser Auseinandersetzung mit dem Holocaust und Genoziden ist der Schwerpunkt auf der Untersuchung des Bösen im normalen Menschen. Schuldfragen sollen außen vor bleiben. Die Tätergenerationen sind heute nahezu ausgestorben. Ebenfalls soll es nicht um psychopathologische Einzelpersonen und Ausnahmetäter gehen, sondern darum, wozu ein normaler Mensch fähig ist.

Ebenfalls neu in diesem Dokumentarfilm ist die Bildsprache. Bei der Nachstellung bekannter Experimente (Milgrim, Stanford, Asch), die bewußt nicht inszeniert und nicht nachgespielt werden, bewegen sich Komparsen in weißer Kleidung, wie kleine Laborratten schematisch durchs Setting. Sie sollen dem ganzen einfach nur ein menschliches Gesicht geben. Auch eine Vergewaltigungsszene, die heute am Set gedreht wird, wird von zwei Stuntleuten nachgestellt und nicht im schauspielerischen Sinne gespielt. Als Drehort dient eine große Halle in einer ehemaligen amerikanischen Kaserne in Hanau.

Der Kameramann Benedict Neuenfels (Deutscher Kamerapreis für „Deine besten Jahre“ und „Lost Killers“, Grimme Preis, Deutscher Filmpreis für „Liebesleben“) übernahm schon die Bildgestaltung bei Stefan Ruzowitzkys KZ-Drama „Die Fälscher“, das 2008 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film bekam.

Benedict Neuenfels erzählt, wie er sich der Kameraarbeit in diesem Dokumentarfilm genähert hat. Er wollte unbedingt eine Ästhetik und ein starkes Spannungsverhältnis in den Bildern erreichen. Schöne Landschaften und Gesichter werden mit grausamen Taten und Berichten kombiniert. Der Spagat zwischen Text und Bild solle reißen und zerren und sich nicht angenehm einbetten. Es geht in dieser Dokumentation um eine Suche. Eine Suche in den Experimenten, in Archiven und Dokumenten, in Gesichtern und in Gesprächen mit Experten:

Zum Beispiel mit dem französischen Priester und Holocaust Forscher Père Desbois, Christopher Browning von der University of North Carolina, Roy Baumeister, ein Professor für Sozialpsychologie in Florida und Benjamin Ferenz, er ist Jurist und war Chefankläger in einem Nachfolgeprozess im Rahmen der Nürnberger Prozesse.

Der Regisseur Stefan Ruzowitzky dreht seinen Dokumentarfilm in der Ukraine, den USA, Bremen, Potsdam und fünf Tage lang hier in Hanau bei Frankfurt am Main.

Nach seinen Arbeiten im Bereich des Kinderfilms („Hexe Lilli“), Genrefilms („Anatomie“) und Arthouse („Die Siebtelbauern“) und seinem Oscar prämierten KZ-Drama „Die Fälscher“, erschien im April 2012 die Hollywoodproduktion „Deadfall“ unter seiner Regie mit Eric Bana, Sissy Spacek und Kris Kristofferson. Auf die Frage, warum er sich nun diesem dokumentarischen Projekt widme, erzählt er, daß es ihn sehr gereizt habe auch einmal im Dokumentarfilmbereich tätig zu sein. Durch die Recherchen für „Die Fälscher“ hatte er sich auch schon sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt. Außerdem interessiere ihn natürlich als Regisseur und auch als Drehbuchautor immer das Warum. Warum handelt ein Mensch so? Wie kann man verhindern, daß das für uns so überlebenswichtige Bedürfnis nach Gemeinschaft und Gruppenzugehörigkeit, Konformität und Vernetzung, derartige Grenzen überschreitet und ein solches Grauen hervorbringt? Was sind die Anzeichen und Vorboten, die Alarm schlagen müssen? Warum ist es möglich, daß ständig in verschiedenen Teilen der Welt Genozide und Grausamkeiten stattfinden?

Auf die Frage, wie hart es sei, sich mit solchen Themen auseinander zu setzen, sagt er, daß vor allem die Vorbereitung und Recherche im Vorfeld sehr schwer sei und dann natürlich wieder die Arbeit beim Schnitt. Am Set beschäftigen einen Fragen nach dem Licht und andere praktische Dinge so sehr, daß es hierbei noch am ehesten auszuhalten sei. Aber er will einfach wissen und begreifen was passiert ist und passiert! Und was ist nötig, um es zu verhindern? Sein Wunsch nach dieser Analyse sei einfach stärker!

Der Darmstädter Produzent Wolfgang Richter, der in den letzten 40 Jahren an die hundert Filme produziert hat, hat 1972 die docfilm Karnick & Richter OHG gegründet und jetzt die docMovie GmbH. Erst dieses Jahr im Januar sprach er das erste Mal mit Stefan Ruzowitzky über dieses Dokumentarfilmprojekt. Er erzählt ebenfalls von seinen Recherchen dazu im Vorfeld und berichtet, dass er beim Lesen der Dokumente über die Grausamkeiten auch manchmal habe abbrechen müssen. Einmal habe er einen Spaziergang machen müssen, bevor er fortfahren konnte.

Produziert wird „Das Böse – Ganz normale Männer“ von docMovie GmbH, Aichholzer Film GmbH Wien und dem ZDF und ORF. Auch HessenInvestFilm fördert den Dokumentarfilm (wie auch schon den Oscar Film „Die Fälscher“)  neben ÖFI und DFFF.

Stefan Ruzowitzky und Benedict Neuenfels werden gefragt, ob sie glauben, daß sie damals selbst unter den 12 Verweigerern gewesen wären. Sie antworten, daß sie natürlich mit der kritischen und friedliebenden Sozialisation (Benedict Neuenfels war Kriegsdienstverweigerer), die sie erfahren haben, doch Hoffnung haben, daß sie in so einem Fall nicht die Taten begangen hätten. Unter dieser historischen und propagandistischen Vorbeeinflussung könne man jedoch vermutlich für niemanden die Hand ins Feuer legen, nicht einmal für sich selbst.

Der Andrang um Stefan Ruzowitzky ist groß. Es finden mehrere TV- Interviews statt und auch im anschließenden Gespräch tauchen viele Gedanken, Fragen und Diskussionen auf.  Der neue Film, der Ende Januar 2013 fertig gestellt werden soll (mit Schnitt in Darmstadt) soll ab Februar in die Kinos kommen, idealerweise nach Vorstellung auf einem großen Filmfestival. Er wird sicherlich für viel Gesprächsstoff sorgen und Diskussionen anregen.  Es wird kein leichter Film, emotional aufwühlend und voll widersprüchlicher, beeindruckender Bilder. Doch möglicherweise können wir dabei ein paar Warnungen oder Signale identifizieren über die Gefahren, die in uns selbst stecken.

© RCR Julia Stolze (Text)

© RCR Klaus Lormann (Fotos)

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