Steven Tai – Tintenklecks und Bücherkleid
Wo in seinem Lookbook Mädchen ohne Modelmaße und mit Zahnspangen in seinen Outfits steckten, werden diese im Zuge der Fashion Week Präsentation der Kollektion für die nächste Frühjahr und Sommersaison von schlanken Grazien vorgeführt.
Ein Stilbruch? Das Nerd-Mädchen macht den Kern seiner Kollektion aus. „Es geht mir um intellektuelle, innere Werte“, erklärt er dem Tagesspiegel. Goldumrandete Nickelbrillen sitzen auf den Näschen, das blonde Haar, brav gescheitelt, weht beim flotten Schritt gen der Menge von Fotografen. Die wohl makellosen Körper der Modelle verschwinden unter den Bücherseiten ähnelnden Schichten von Stoff.
Als Sohn eines Unternehmers und Inhabers einer Textilfabrik ist Steven Tai im ostchinesischen Macao geboren. Als er 10 Jahre alt war, zog die Familie nach Vancouver, das er mit 22 Jahren verließ, um an der renommierten Designakademie „St. Martins College“ zu studieren. Im Anschluss assistierte er bei Stella McCartney und Hussein Chalayan und gilt momentan mit seiner preisgekrönten Kollektion als der Konzeptkünstler unter den aufstrebenden Jungdesignern. Er beschreibt sich selbst als Nerd, als Außenseiter und Sonderling, durch seine Umzüge, die ihn zum automatischen Beobachter der Dinge von außen machen. Darin sieht er eine Art von Schönheit, die er in seiner Kollektion verkörpert. Das Buch findet darin die zentrale Bedeutung. Ein nostalgisches Thema. Doch diesem stellt Tai im gleichen Atemzug den Fortschritt entgegen: Seine Show eröffnet ein sperrig erscheinendes, weißes Kleid, dessen Applikationen aus motorisierten goldenen Füllfedern besteht. Es ist keine Ästhetik der Norm, welche hier bei dieser „Nerdy Chic-Kollektion anspricht. Sie ist extrem. Sie ist im höchsten Maße extravagant. Doch was sie vor allem nicht ist – ready to wear. Die Entwürfe, die ihr Schöpfer liebevoll „Bücherfreaks und Silhouetten“ nennt, sind alles andere als alltagstauglich und tragbar. Wie oben schon beschrieben wirken die Outfits zwar bezaubernd kunstvoll, aber eben sperrig. Die Modelle tragen allesamt flache Schuhe. Noch Balance auf erhöhenden High Heels halten zu können, scheint bei den Massen an Stoff um die zarten Körper äußerst unwahrscheinlich. Bei allem Respekt an die Mädchen und deren Laufstegerfahrung. Blaumelierte Buchseiten scheinen um ihre Beine nach oben gestapelt und werden einige Dezimeter vor dem Körper auf Taillenhöhe von einem aus pastellenem Gelb aus steifen Material und Bübchenkragen empfangen. Das innovative Designtalent zeigt Outfits, die weit entfernt sind von jeglicher Körperbetontheit, nein- er scheint die Körper gar neu zu erschaffen. Der hohe Hosenbund, Blusen, die wie aufgeschlagene Buchseiten wirken, Oberteile in Kastenformen, teilweise aus zentimeterdicken Stoffschichten, sind die Ergebnisse einer durchweg mutigen Schnittführung.
Mit seiner Schau ist Steven Tai privilegierter Teilnehmer der Modewoche, denn er und seine Präsentation wurden auf den Erhalt des „Cloé Awards“ im Zuge des Modefestivals in Hyères hin von Mercedes Benz und von Elle gesponsert. Fernab allen Mainstreams versammelt sich das Festival seit nun 27 Jahren in Südfrankreich unter der Leitung von Jean-Pierre Blanc. Es nehmen begabte Jungdesigner teil, es nehmen Fotografen teil. Ziel des Ganzen ist es, sie mithilfe einer internationalen Jury der Öffentlichkeit zu präsentieren. Frühere Gewinner des Cloé Awards waren beispielsweise Viktor & Rolf, Gaspard Yurkievich oder Henrik Viboskov.
Tragbar sind Tais Kreationen definitiv nicht, doch trotz allem kommt die Arbeit des aus China stammenden Kanadiers bei den Kritikern gut an, und so positioniert er sich mit seinem Debüt hier in Berlin und seiner klaren, stimmigen Kollektion, einer außergewöhnlichen Kollektion mit einem Konzept, das überzeugt, auf dem Modemarkt.
(c) RCR Carina Adam